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81. Camping im eigenen Büro

Im Jahr 2003 sah sich Florian Festge als Vice President von W.S. Tyler in Kanada erstmalig mit einem Streik von Mitarbeitern konfrontiert, der am Ende sieben Wochen dauerte.

Nun muss man wissen, dass in Kanada mit der Polizei genaue Regeln für den Streik abgestimmt werden. Eine der Regeln sah vor, dass die Streikenden ins Werk fahrende Autos sowohl bei der Einfahrt als auch bei der Ausfahrt zehn Minuten festhalten dürfen. Das war also das, was der Geschäftsleitung und allen, die nicht am Streik teilnahmen, vom ersten bis zum letzten Streiktag blühen konnte. Bei Florian Festge wehrte sich innerlich alles dagegen, den Streikenden die Genugtuung zu geben, dass sie ihren Chef einfach für einen bestimmten Zeitraum festsetzen. So überlegte er sich, am Vortag des ersten Streiktags gar nicht erst das Büro zu verlassen, sondern sich dort mit einem Schlafsack und ausreichend Proviant für die Nacht einzurichten. Er rollte seinen Schlafsack unter seinem Schreibtisch aus und „genoss“ den etwas anderen Büroschlaf. 

Mit Spannung konnte er am nächsten Morgen die Reaktion der Streikenden sehen, als sie vergeblich nach ihm suchten. In den darauffolgenden Tagen fuhr er wieder mit den anderen auf das Werksgelände – allerdings kam nicht jeder einzeln mit seinem Auto, sondern man charterte einen Bulli, der gleich neun Leute transportieren konnte. So war der Verlust der Arbeitszeit nicht so gravierend.  

Jede Medaille hat zwei Seiten. Die gute Seite des langen Streiks war, dass unter den Nicht-Streikenden ein großer Zusammenhalt entstand. Jeder machte jede Arbeit, auch wenn sie noch so ungewohnt war, und irgendwie bekamen sie es gemeinsam hin, den Betrieb trotz Streik am Laufen zu halten. Noch heute ist es für Florian Festge ein unbeschreibliches Gefühl, als das Tor aufging, nachdem man gemeinsam die erste selbst-montierte Siebmaschine auf den abholenden LKW geladen hatte. 

Das war das erste und letzte Mal, dass Florian Festge in seinem Büro „campte“. 

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